Groundhopping Žižkov: Zweite Liga auf tschechisch
Fußball. Meine große Liebe. Wenn jemand meine Mitbewohner hier in Prag fragt, was ich eigentlich so mache, lautet die Antwort: „Most of the time he's watching football.“ Stimmt. Leider teilt keine und keiner von ihnen meine Leidenschaft. Deshalb machte ich mich auch alleine auf den Weg zum Spiel von Viktoria Zizkov.
In der zweiten tschechischen Liga werden die Sonntagsspiele mit der ersten Begegnung morgens um 10.15 Uhr eröffnet. Zizkov, benannt nach dem Prager Stadtteil, musste zu Hause gegen Slezsky FC Opava ran. Der Wecker klingelte also um halb neun, genug Zeit für Anreise und Prä-Anpfiff-Pils mit eingerechnet.
Die Straßenbahn brachte mich ohne Umsteigen bis zum Stadion. Und mit „bis zum Stadion“ ist hier wirklich bis vor den Eingang gemeint. Mitten im Prager Stadtzentrum gelegen steigt man also praktisch direkt ins Stadion ein, um es mit Edmund Stoibers Worten zu sagen. Die Kassen waren gute zehn Meter von Bahnschienen und Haltestelle entfernt.
Gegentribüne für zwei Euro
Nach anfänglichen Schwierigkeiten fand ich einige andere Erasmus-Menschen und schloss mich auf gut Glück einer Gruppe an, der ich Fußballsachverstand zutraute. Zwei Finnen, ein Franzose und ein Gladbach-Fan – na dann mal los.
Fußball in Tschechien ist anders als in Deutschland. Diese Feststellung kommt spätestens an der Kasse. Für ein Ticket auf der Gegentribüne wurden ganze 60 Kronen fällig – ein bisschen mehr als zwei Euro. Selbst in der dritten deutschen Liga kostet der billigste Platz mindestens das Doppelte.
Preisunterschiede gibt es auch bei der Verpflegung. Ein halber Liter Bier? 'N Euro. Bratwurst? 'N Euro. Deine Nummer? Lassen wir das. Um kurz vor zehn also den ersten Becher in der Hand. Eine gute Zeit, um mit dem weniger Trinken aufzuhören. Sonntag morgens, kurz vor Zehn in Tschechien und so. Die Wurst probierten die anderen, das einstimmige Urteil lautete: „The greasiest sausage I've ever eaten.“ Gut, dass das Bier nicht so fettig war.
Die eFotbal Aréna in Prager Stadtteil Zizkov.
Gegrillt wurde hinter der Heimkurve auf zwei massiven Geräten mit einer Fläche von gefühlten 10 Quadratmetern. Alles ein bisschen anders. Noch fünf Minuten bis Anpfiff – höchste Zeit, so langsam unsere Plätze einzunehmen. Umgeben von Hochhäusern, Straßenbahnschienen und einem kleinen Park ist das Stadion absolut idyllisch gelegen.
Von den anderen erfuhr ich, dass Zizkov und Opava sich nicht wirklich freundlich zugetan sind. Bestens. Dann könnte es ja so richtig interessant werden. Als die Mannschaften einliefen, war der Auswärtsblock bereits prall gefüllt. Im Heimbereich war hingegen noch nicht so viel los. Wie sich herausstellen sollte, waren mehr Leute aber auch gar nicht nötig.
Vielleicht war dem Zuschauer-Aufkommen auch das Aufgebot der Sicherheitskräfte geschuldet. Rund um die gelb-blauen Opava-Fans waren vielleicht zehn neon-gelbe und -orange Westen zu sehen. Für die Ultras von Zizkov war eine einzige abgestellt, die den Eingang zum Block bewachte. Polizei? Fehlanzeige. In deutschen Landen hätte es sich hierbei vermutlich um ein Risikospiel gehandelt. Ein paar Einsatz-Hundertschaften inklusive. Aber wie gesagt, in Tschechien ist Fußball ein bisschen anders.
Ist das hier Regionalliga?
Schon kurz nach Anpfiff mussten meine Begleiter und ich feststellen, dass zweite tschechische Liga höchstens deutsches Regionalliganiveau bedeutet. Lange Bälle, Kopfball“stafetten“, Ballverluste und Fehler im halbe Minuten Takt prägten das Spielgeschehen.
In Sachen Lautstärke und Emotion war der Support aber durchaus Erstliga tauglich. Sowohl die circa 50 Zizkov-Anhänger als auch die zahlenmäßig klar überlegenen Auswärtsfahrer aus Opava machten von Anfang an richtig Alarm.
Ihre Trommeln und Gesänge verstummten nur für ein paar Minuten, als Viktoria in der 17. Minute vom Schiedsrichter einen völlig unberechtigten Elfmeter zugesprochen bekam, der sicher verwandelt wurde. Bei den Zizkov Ultras war hingegen Eskalation angesagt und der Schütze wurde mit Sprechchören gefeiert.
Würste grillen ist kein Verbrechen!
Danach ging es dann weiter wie zuvor. Kein schönes Spiel, aber starker Support. Zu den Opava-Fans hatte sich eine kleinere Zahl von Menschen in grünen Shirts gesellt, vermutlich Fans einer anderen Prager Mannschaft. Auf dem Feld tat sich trotz der ununterbrochenen Anfeuerungen leider nicht viel, mit dem 1:0 ging es in die Halbzeit und ich mit zwei neuen Bier zurück auf die Tribüne, damit man nicht zwischendurch nochmal aufstehen muss.
Am Spiel änderte sich auch nach Wiederanpfiff immer noch nicht viel: Zizkov blieb am Drücker, die meisten Aktionen waren aber nach wie vor von technischen Fehlern geprägt. Um zumindest etwas Ansehnliches zu bieten, packten die Zizkov-Fans eine beachtliche Blockfahne mit der Aufschrift „Soul of Zizkov“ neben dem Vereinslogo aus und zündeten ein Paar rote Rauchtöpfe. Zusammen mit dem Rauch, der vom Wurstgrill hinter der Kurve sowieso die ganze Zeit die Ultras einhüllte, sah das schon ziemlich cool aus. Ein einzelner Feuerwehrmann machte sich nach einigen Minuten auf den Weg in den Block, um die schon fast ausgebrannte Pyrotechnik zu entschärfen. Bloß keine Hektik.
Ultras Zizokv.
Leidenschaft, Liebe und Eskalation = Fußball
Die 77. Minute schien eine besondere für beide Fanlager zu sein. Bis heute weiß ich noch nicht, was daran so speziell war. Aber irgendwas musste es sein. Schon in den vorangegangenen Minuten war eine rege Geschäftigkeit in den Blöcken zu erkennen, insbesondere bei Opava tat sich viel. Mit Anbruch besagter 77. Spielminute war dann noch mal richtig Stimmung angesagt. Die Ultras Zizkov schwenkten etliche Fahnen in den Vereinsfarben rot und weiß. Ihre Gegenüber aus Opava präsentierten ihrerseits die Farben des Vereins noch etwas imposanter.
Zwei große Transparente wurden jeweils am oberen und unteren Ende des Auswärtsblocks gehisst, eines mit der Aufschrift ULTRAS OPAVA und ein anderes, dass ich nicht ganz entziffern geschweige denn übersetzen konnte. Über den ganzen Block wurde eine Fahne mit gelb-blauem Karomuster gezogen und zu guter Letzt gingen noch einige Pyros in blau und gelb in die Luft. Für zweite Liga und unter 1000 Zuschauern eine ziemlich starke Performance – von beiden Lagern.
Zehn Minuten, nachdem die letzte Pyrotechnik erloschen war, wurde das Spiel dann auch abgepfiffen. Zizkov markierte in der Zwischenzeit noch den entscheidenden Treffer zum 2:0. Als wir uns langsam auf den Weg gen Ausgang machten und ich in meinem Kopf die Ereignisse nochmal Revue passieren ließ, musste ich dann doch feststellen: Ganz so anders ist der Fußball in Tschechien nicht. Dass es nur einen Rudi Völler gibt, können auch tschechische Fans besingen. Auch den FC Schalalalala Schalke 04. Auf tschechisch. Mit anderem Inhalt. Aber Fußball ist halt immer noch Fußball – ohne Grenzen und Nationen, dafür mit Leidenschaft, Liebe und Eskalation.